Kritik am 9-Euro-Ticket: Geht einfach und preiswert auch smart und wirtschaftlich?

Eines hat das viel genutzte 9-Euro-Ticket bereits während der dreimonatigen Laufzeit bewiesen: Die Menschen in Deutschland freuen sich über günstige Preise und maximale Einfachheit beim Ticketkauf. Dennoch halten viele Mobilitäts- und ÖV-Fachleute eine Pauschalfahrkarte zum Dumpingpreis nicht für das richtige Mittel, um die Attraktivität des ÖV dauerhaft zu steigern. Zudem gibt es andere, innovative Lösungen, die Bus- und Bahnfahren einfacher, günstiger und gerechter machen – und zugleich dabei helfen, Geld für dringend benötigte Investitionen in die Qualität des öffentlichen Verkehrs zu erwirtschaften.

«Auch wenn ich als Abo-Kunde jetzt selber Geld spare, gibt es von mir keinen Beifall für das 9-Euro-Ticket»

, schrieb Iko Tönjes in einem offenen Brief kurz vor Beginn der drei Monate, in denen der ÖPNV in Deutschland so günstig zu nutzen ist wie nie zuvor.

Auf den ersten Blick überrascht Tönjes‘ kritische Haltung: Immerhin ist er Sprecher des Verkehrsclub Deutschland (VCD) im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der VCD wiederum spricht sich explizit für die Verkehrswende aus, weg vom Auto, hin zu mehr Fuss-, Rad-, Bus- und Bahnverkehr. Seine Skepsis gegenüber dem 9-Euro-Ticket erklärt der VCD-Sprecher unter anderem so:

«Schade, dass Tickets verramscht werden, anstatt Leistung und Qualität nachhaltig anzuheben»

, moniert Tönjes und wünscht sich stattdessen, dass die Politik mehr an die Menschen auf dem Land denkt:

«Da wären bundesweit viele neue Schnellbuslinien nützlicher, auch wenn das länger braucht.»

Der VCD-Sprecher steht mit seiner Kritik am populären 9-Euro-Ticket längst nicht allein. Auch andere Unterstützerinnen und Unterstützer eines starken ÖPNV melden Zweifel an:

«Das 9-Euro-Ticket ist ein guter Anfang, weil nun viel über Busse und Bahnen diskutiert wird»

, sagt etwa die Mobilitäts-Expertin und Buchautorin („Autokorrektur“) Katja Diehl.

«Vor allem aber müsste der Nahverkehr erst einmal richtig ausgebaut werden.»

Auch Prof. Dr. Christian Böttger, der an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin unter anderem zu Verkehrswesen und Eisenbahn forscht, steht dem pauschalen Billigticket skeptisch gegenüber.

«Nach den bisher vorliegenden Nutzungsdaten verursacht das 9-Euro-Ticket keine nennenswerte Verkehrsverlagerung, aber erheblichen Zusatzverkehr. Dieser belastet das Bahnnetz zusätzlich, das schon am Rande des Kollapses steht»

, sagt er und konstatiert:

«Aus diesem Grund ist das 9-Euro-Ticket ökologisch nicht sinnvoll. Soziale Zielsetzungen könnten mit anderen Instrumenten zielgenauer erreicht werden.»

Böttger ist überzeugt, dass eine echte Verkehrsverlagerung Richtung ÖV stärkere Eingriffe erfordert.

«Zuerst müssten dem Strassenverkehr all seine Kosten angelastet werden, das ist heute nicht der Fall»

, fordert er.

«Zusätzlich sollte die relative Attraktivität des Strassenverkehrs gesenkt werden, zum Beispiel durch höhere Parkgebühren und eine entfernungsabhängige Maut.»

Zusammengefasst lässt sich die weitere Kritik vieler ÖV-Fachleute so auf den Punkt bringen: Das 9-Euro-Ticket ist gut gemeint, aber auf Dauer wäre es kein geeigneter Wegbereiter für die dringend benötigte Verkehrswende. Es ist sozial ungerecht, weil es Gutverdiener ebenso entlastet wie Bedürftige. Es löst weder Qualitäts-, noch Infrastruktur-, noch Personal- und Pünktlichkeitsprobleme, sondern hat zu mehr Überfüllung und Verspätungen in Bussen und Bahnen geführt. Und es ist wirtschaftlich problematisch, weil durch entgangene Ticketeinnahmen hohe Defizite entstehen, die sich im Zweifel zusätzlich negativ auf Umfang und Qualität des Angebotes auswirken.

Dennoch: Die Ziele der Aktion unterstützen die meisten Fachleute. Ist es also möglich, diese Vorteile nach Ablauf der 3-Monats-Aktion auch mit Massnahmen zu erreichen, die weniger kostspielig, sozial ausgewogener und innovativer gestaltet sind?

«Es muss keine teure Pauschallösung sein, bei der man am Ende gar nicht genau weiss, wo und wie sie verwendet wird»

, sagt Thuy Chinh Duong, Leiterin der Produktentwicklung bei Motiontag, einem Potsdamer Start-up für smartphone-basierte Datenanalysen zur Mobilität.

«Der einfache Zugang, überregional gültige Tickets und gleichzeitig genauere Daten über die tatsächliche Ticketnutzung liessen sich besser mit app-basierten Lösungen erreichen.»

Ebenso wie Duongs Unternehmen arbeitet auch Fairtiq daran, öffentlichen Verkehr mit smarten Mitteln zu verbessern. Die App des Schweizer Start-ups macht es – ähnlich wie das 9-Euro-Ticket – überflüssig, über Tarifzonen oder die Wahl des richtigen Fahrscheins nachzudenken: Vor dem Einsteigen in Zug, Tram oder Bus checken sich Reisende per «Wisch» auf dem Smartphone ein. Am Zielort beenden ein weiterer «Wisch» oder die integrierte «Smart Stop»-Funktion die Kostenerfassung. Die App erkennt die gefahrene Strecke anhand der Standortermittlung und verrechnet das preisoptimale Ticket. Falls die Kosten mehrerer Einzelfahrten in einem bestimmten Zeitraum den Preis einer Tageskarte übersteigen, wird automatisch nur der günstigere Tarif fällig. Die gleiche Capping-Funktion ermöglicht Fairtiq auch auf Monatsebene, so dass ÖV-Kundinnen und -Kunden sich nicht vorab überlegen müssen, wie häufig sie in einem bestimmten Zeitraum wohl Bus und Bahn fahren. Sie zahlen automatisch den besten Preis.

Mit der Fairtiq-App lassen sich bereits alle öffentlichen Verkehrsmittel in Nordrhein-Westfalen sowie in mehreren anderen Regionen Deutschlands nutzen. Die jeweiligen Verkehrsbetriebe können dabei selbst und flexibel entscheiden, welche konkreten Anreize sie setzen, um das Bus- und Bahnfahren noch attraktiver zu machen – etwa durch Preisdeckelungen und besondere Bonusaktionen, die dann jeweils automatisch greifen. Fairtiq-Gründer und -CEO Gian-Mattia Schucan ist überzeugt, dass die dringend benötigte Verkehrswende mit derartigen smarten E-Tarifen dauerhaft leichter und schneller gelingen kann als mit pauschalen Dumpingpreisen, die den ÖV gewissermassen auch ihres Wertes beraubt.

«Unsere Technologie bietet einen innovativen Zwischenweg zwischen Einfachheit auf der einen und preislicher Attraktivität sowohl für Passagiere als auch ÖV-Anbieter auf der anderen Seite»

, sagt Schucan.

«Dadurch ermöglicht sie es den Verkehrsbetrieben, neue Zielgruppen anzusprechen und Einnahmen zu generieren, die wiederum in die Qualität und das Personal des ÖPNV fliessen können.»

Um den besten Weg zur Verkehrswende und attraktive Alternativen zu Flatrate-Tickets geht es auch in einem Webinar mit Fairtiq-Experten am 18. August 2022. Unter der Leitfrage «9 Euro und dann?» erläutern Till Hübner (Key Account Management Deutschland/Österreich) und Markus Fedra (Business Development Österreich), welche innovativen Lösungen Flatrates die Stirn bieten können. Interessierte können sich hier zur kostenlosen Teilnahme anmelden.

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Text-QuelleFairtiq
Redaktionhttps://www.bahnonline.ch
Aus der Bahnonline.ch-Redaktion. Zugesandte Artikel und Medienmitteilungen, welche von der Redaktion geprüft und/oder redigiert wurden.

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