Prix LITRA 2023: Der begehrte öV-Preis geht an Arbeiten zu Mobilitätsguthaben, «Machine Learning» und Velowegen bei Bushaltestellen

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 1. Oktober 2023 veröffentlicht.

Der Prix LITRA 2023 geht an drei herausragende Bachelor- und Masterarbeiten mit spannender Themenvielfalt: handelbare Mobilitätsguthaben für mehr Klimaschutz, «Supervised Machine Learning» im öffentlichen Verkehr und auf den Veloverkehr abgestimmte Bushaltestellen. Bundesrat Guy Parmelin hat den Preis am 28. September 2023 in Bern an Sandro Tanner, Zeliya Schär und Nyoman Selamet übergeben. Seit 2012 verleiht die LITRA den begehrten Preis jährlich an Studierende von Schweizer Universitäten und Hochschulen, die ihre Abschlussarbeit dem öffentlichen Verkehr und der Mobilität widmen.

Insgesamt zehn Arbeiten waren in diesem Jahr im Rennen um den Prix LITRA, darunter je fünf Bachelor- und Masterarbeiten. Die interdisziplinär zusammengesetzte Jury des Prix LITRA hat die eingereichten Arbeiten eingehend geprüft und gewürdigt. Nach angeregter und ausführlicher Diskussion entschied sie sich für drei Arbeiten der ETH Zürich / TU Delft, der Hochschule Luzern (HSLU) sowie der Haute Ecole d’Ingénierie et de Gestion du Canton de Vaud (HEIG-VD). Die Preisverleihung fand am 28. September 2023 anlässlich der LITRA-Mitgliederversammlung in Bern statt.

Können handelbare Mobilitätsguthaben für Freizeit-Fernreisen in Europa den Klimaschutz stärken?

Diese Frage stellt sich Sandro Tanner in seiner Masterarbeit, die er an der TU Delft (Niederlande) und der ETH Zürich verfasst hat. Der Verkehr ist ein wesentlicher Treiber des Klimawandels: In der EU ist er für 29 % der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich (in der Schweiz sind es ebenfalls rund 30 %). Gefragt sind neue Instrumente, die mithelfen, den Treibhausgasausstoss im Verkehr zu reduzieren. Ein Beispiel sind «Tradable Mobility Credits» (TMC). Dabei handelt sich um ein persönliches Mobilitätsguthaben, das zur Nutzung bestimmter Verkehrsmittel berechtigt. Die Anzahl der ausgegebenen Guthaben wird so festgelegt, dass die durch das Reisen entstehenden Treibhausgasemissionen gedeckelt sind resp. um eine festgelegte Menge sinken. Die ausgegebenen Guthaben können frei verkauft oder gekauft werden, der Preis richtet sich nach Angebot und Nachfrage.

Sandro Tanner untersucht mit einem von ihm entwickelten Modell, wie sich solche Mobilitätsguthaben bei Freizeit-Fernreisen in Europa auf die Mobilitätsnachfrage und den Anteil der Verkehrsträger (Modalsplit) auswirken könnten. Konkret entwickelt er ein Modell für die Verkehrsmittelwahl und integriert darin ein System mit Mobilitätsguthaben für die Nutzung des Flug-, Auto- und Bahnverkehrs. Der Preis der Mobilitätsguthaben verhält sich dabei dynamisch. In der Arbeit werden die handelbaren Mobilitätsguthaben so eingeführt, dass die CO2-Emissionen um 30 % vermindert werden. Gemäss dem Modell sinkt dadurch die Nachfrage auf den betrachteten Strecken um 17 % (d.h. geplante Reisen werden abgesagt). Ausserdem findet eine Verschiebung zu klimaschonenderen Verkehrsmitteln statt: 11 % der Reisen werden vom Flugzeug auf die Bahn und 3 % auf die Strasse verlagert, in geringerem Masse findet auch eine Verlagerung von der Strasse auf die Schiene statt. Das Modell liefert einen Preis für die Mobilitätsguthaben von 193 Euro pro Tonne CO2. Für eine Reisestrecke von 600 km (Zürich–Amsterdam) bedeutet dies Zusatzkosten von 31 Euro für das Flugzeug, 19 Euro für das Auto und 5 Euro für die Bahn. Sandro Tanner stellt fest, dass handelbare Mobilitätsguthaben ein wirksames Mittel zur Erreichung der Klimaziele darstellen können, wobei weitere Massnahmen notwendig bleiben.

«Tradable Mobility Credits for Long-Distance Travel in Europe – Impacts on the Modal Split between Air, Rail and Car». Masterarbeit von Sandro Tanner vom 30.01.2023, TU Delft und ETH Zürich.

Wie kann «Supervised Machine Learning» einem öV-Unternehmen helfen, das Marketing gezielter auszurichten?

Mit dieser Frage befasst sich Zeliya Schär in ihrer Masterarbeit an der Hochschule Luzern (HSLU). Ausgangspunkt ist das Anliegen der BLS AG, im öV den Umsatz mit bestehenden Kundinnen und Kunden zu steigern: Das Unternehmen will mehr Tickets der ersten Klasse und mehr Klassenwechsel verkaufen («Upselling»). Um dies zu erreichen, möchte die BLS das Marketing gezielter ausrichten. Zeliya Schär analysiert in ihrer Arbeit anonymisierte Transaktionsdaten von BLS-Kundinnen und -Kunden. Sie zeigt, dass sich mit «Supervised Machine Learning» gezielt Kundinnen und Kunden auswählen lassen, die für ein Upselling empfänglich sein könnten. Für einen höheren Marketingerfolg kann dies eine wichtige Grundlage sein.

Zeliya Schär nutzt in ihrer Arbeit das für Data-Mining etablierte Prozessmodell «Cross Industry Standard Process for Data Mining» (CRISP-DM). Mittels «Supervised Machine Learning» trainiert sie verschiedene Algorithmen resp. Modelle: D.h. sie versucht, rechnergestützt Muster für verschiedene Merkmale zu erkennen, die ein «Upselling» begünstigen. Zu diesem Zweck werden die Modelle mit Testdatensätzen gefüttert. Die Ergebnisse werden in Tests mit Zufallsergebnissen verglichen und die Prognosegenauigkeit beurteilt. Der erfolgreichste der auf diese Weise trainierten Algorithmen zeigt mit 90 % die beste Prognosegenauigkeit. Er erkennt im Testdatensatz mehr als drei Viertel der Kundinnen und Kunden, die bereits ein «Upselling» gemacht haben. In allen trainierten Modellen erweisen sich das Alter, das Einkommen sowie die Anzahl und Art gekaufter Fahrausweise als wesentliche Vorhersagefaktoren für ein «Upselling».

«Vorhersage des Upselling-Potenzials von Kundinnen und Kunden des öffentlichen Verkehrs mittels Supervised Machine Learning». Masterarbeit von Zeliya Schär vom 02.06.2023, Hochschule Luzern (HSLU) – Wirtschaft.

Wie können Bushaltestellen und Velowege optimal aufeinander abgestimmt werden?

Der Veloverkehr erlebt einen Aufschwung, nicht zuletzt dank des Booms der Elektrofahrräder. Dies führt in städtischen Gebieten zu Herausforderungen im Zusammenspiel von öffentlichem Verkehr und Veloverkehr, insbesondere bei Bushaltestellen. Genau damit befasst sich Nyoman Selamet in seiner Bachelorarbeit an der Haute École d’Ingénierie et de Gestion du Canton de Vaud (HEIG-VD). Er zeigt, wie Bushaltestellen und Velowege so aufeinander abgestimmt werden können, dass die Sicherheit, der Komfort und eine flüssige Fortbewegung für alle gewährleistet werden. Der Vorschlag für eine Arbeit zu diesem Thema kam ursprünglich aus dem öV-Unternehmen Transports publics de la région lausannoise (TL).

Nyoman Selamet zeigt, dass für Velowege vier Typologien bestehen: die mit dem Strassenverkehr gemeinsam genutzte Fahrbahn, der Velostreifen, die für Fahrräder geöffnete Busfahrbahn sowie der vollständig von der Strasse getrennte Veloweg. Bei der Bushaltestelle sind es deren drei, nämlich die Haltestelle auf der Fahrbahn, die Haltestelle neben der Fahrbahn (z.B. erweiterte Fahrbahn mit Haltebucht) und die Haltestelle mit einer Fahrbahnverengung. In der Arbeit werden systematisch für alle Kombinationen die Funktionsweise, die Konfliktpotenziale sowie die Vor- und Nachteile für den Velo- und den öffentlichen Verkehr aufgezeigt. Zusätzlich illustriert Nyoman Selamet konkrete Beispiele aus Bern, Basel, Zürich, Pully und Ecublens und untersucht diese auf mögliche Herausforderungen. Im zweiten Teil leitet er aus den gewonnenen Einsichten ideale Gestaltungsmerkmale für Velowege an Bushaltestellen ab und wendet diese auf ein aktuelles Busprojekt in Pully an. Ein besonderer Pluspunkt der Arbeit bildet das letzte Kapitel mit generellen Empfehlungen für Gemeinden und öV-Betreiber.

«Optimisation des pistes cyclables au droit des arrêts de bus». Bachelorarbeit von Nyoman Selamet vom 03.03.2023, Haute Ecole d’Ingénierie et de Gestion du Canton de Vaud (HEIG-VD).


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