Auf verschiedenen Zweirädern, bei Sonnenschein, bei Nässe und mit Laub auf der Fahrbahn haben Testpersonen das velofreundliche Gleis auf Herz und Nieren geprüft. Das erste Fazit fällt positiv aus: Die Velofahrenden fühlen sich beim Queren der Tramgleise mit Gummifüllung sicherer. Auch aus Sicht der BVB verlief die erste Testphase vielversprechend. Nun folgt die zweite Phase unter realen Bedingungen: Ab Ende 2021 können alle Velofahrenden das velofreundliche Gleissystem bei der Haltestelle Bruderholzstrasse in Fahrtrichtung Bruderholz testen.
Die Fahrt entlang der hohen Haltekanten bei Kaphaltestellen soll für Velofahrende einfacher und sicherer werden. Deshalb testet der Kanton in Zusammenarbeit mit der BVB und den Veloverbänden in Basel als europaweit erste Stadt ein velofreundliches Tramgleissystem bei Haltestellen. In einer ersten Testphase wurde das System mit einer Teststrecke auf dem Areal einer Baufirma in Füllinsdorf/BL auf Herz und Nieren geprüft. Der VCS und Pro Velo rekrutierten Velofahrende aus Basel und der Umgebung, die das velofreundliche Gleis mit normalen Velos, E-Bikes, Liegevelos, Faltvelos und mit Kinderanhängern befuhren und es unter verschiedensten Bedingungen testeten – beispielsweise beim Linksabbiegen, wo Velofahrende gleich zweimal eine Schiene passieren müssen, mit längsparkierten Autos vor der Kaphaltestelle, bei Nässe oder mit Laub auf der Fahrbahn.
Ein Gewinn für Velofahrende
Die Rückmeldungen der Testpersonen zum velofreundlichen Gleis sind durchwegs positiv – unabhängig vom eigenen Fahrkönnen und vom Zweirad, mit welchem sie auf der Teststrecke unterwegs waren. Das Gleissystem erwies sich auch bei Nässe und mit Laub auf der Fahrbahn als gut befahrbar und wurde beim Queren der Schienen als sicherer wahrgenommen als Gleise ohne Gummifüllung. Grundsätzlich fühlten sich die Testpersonen wohler, wenn sie bei der Kaphaltestelle zwischen den beiden Schienen fahren konnten anstatt zwischen äusserer Schiene und Haltekante. Da auch der Einbau von Schiebetritten bei den Trams immer wieder ein Thema ist, was zu mehr Abstand zwischen Schiene und Haltekante führen würde, testeten die Velofahrenden auch dieses Szenario. Erwartungsgemäss erhielt die Variante mit Gummi-gefüllten Schienen und mehr Abstand zwischen Schiene und Haltekante leicht bessere Noten als die ebenfalls als sehr gut bewertete Fahrt auf Gummi-gefüllten Schienen ohne zusätzlichen Abstand. Der Testbetrieb in Füllinsdorf geht im kommenden Herbst in die nächste Runde. Dann wird untersucht, ab welchem Stand der Abnutzung die Gummifüllung von Velofahrenden als unsicher empfunden wird und ab wann der Gummi jeweils ausgetauscht werden müsst
Erste positive Erfahrungen bei der BVB, aber deutlich höhere Kosten
Auch die Basler Verkehrs-Betriebe (BVB) prüften das velofreundliche Gleis eingehend mit Blick auf die Sicherheit, den Einbau, den Unterhalt und die Kosten. Die vorgelegten Sicherheitsnachweise und erste Erfahrungen zeigen, dass das velofreundliche Gleis auch für den Trambetrieb sicher und zuverlässig funktionieren sollte und dass das System in einem nächsten Schritt unter realen Bedingungen im laufenden Betrieb getestet werden kann. Der Einbau von velofreundlichen Gleisen bei einer Haltestelle kostet aber rund 80% mehr als der Einbau von herkömmlichen Gleisen und auch der Unterhalts- und Wartungsbedarf liegen deutlich höher. Sollte das velofreundliche Gleis dereinst an sämtlichen Kaphaltestellen im Kanton eingebaut werden, so dürften die Mehrkosten gemäss heutigem Wissensstand bei rund 20 bis 30 Mio. Franken liegen.
Versuch unter realen Bedingungen bei der Tramhaltestelle Bruderholzstrasse
Nach dieser erfolgreichen ersten Testphase auf dem isolierten Areal in Füllinsdorf soll ein Realversuch im nächsten Jahr zeigen, ob das velofreundliche Gleis auch unter realen Verkehrsbedingungen im laufenden Trambetrieb taugt. Vorbehältlich der Bewilligung des Bundesamts für Verkehr (BAV) wird das velofreundliche Gleis im Rahmen der ohnehin notwendigen Erhaltungsmassnahmen im Sommer 2021 an der Haltestelle Bruderholzstrasse in Fahrtrichtung Bruderholz eingebaut und ab Ende 2021 getestet. Bei dieser zweiten Phase stehen die Langlebigkeit der Gummifüllung, weitere Erkenntnisse zu Betrieb und Unterhalt sowie die Akzeptanz der Lösung im täglichen Verkehrsgeschehen im Fokus. Eine Auswertung wird nach rund einjährigem Betrieb voraussichtlich Ende 2022 möglich sein. Dann wird es auch möglich sein, die effektiven Zusatzkosten zu beziffern und über einen definitiven Einsatz des velofreundlichen Gleissystems an sämtlichen Kaphaltestellen zu befinden
Kaphaltestellen und das velofreundliche Gleis
Beim velofreundlichen Gleis handelt es sich um eine Neukonstruktion des Schienenoberbaus. Dabei wird in der Schienenrille ein Gummiprofil montiert, welches durch einen speziellen Stahlkasten seitlich fixiert wird. Das Gummiprofil verschliesst die Rille des Tramgleises und bildet dadurch eine weitgehend ebene Fläche im Strassenbelag. Ein Velo kann aufgrund des leichten Gewichtes über die Schienenrille fahren, ohne einzusinken. Bei der Überfahrt eines Trams wird die Gummifüllung nach unten gedrückt. Der Kanton erhofft sich von dem System eine Verbesserung für alle Velofahrenden an sogenannten Kaphaltestellen. Von Kaphaltestellen spricht man dann, wenn sich bei einer Haltestelle mehrere Verkehrsmittel jene Spur teilen, auf der auch das Tram unterwegs ist. Hier müssen Velofahrende bei hindernisfreien Haltestellen den höheren Haltekanten entlangfahren, was oft als gefährlich empfunden wird. Dank dem velofreundlichen Gleis sollen sich sowohl jene Velofahrenden sicherer fühlen, die zwischen Kante und Schiene fahren möchten, als auch jene, die bei einer Kaphaltestelle lieber zwischen die beiden Schienen wechseln und diese so besser queren können. Der Grosse Rat begrüsst den Einsatz des velofreundlichen Gleises ausdrücklich und hat im Mai 2020 bereits den Grundsatzentscheid gefällt, dass bei künftigen Projekten zur hindernisfreien Umgestaltung von Kaphaltestellen jeweils auch die Kosten für velofreundliche Gleise zu berücksichtigen sind.