In der Nacht vom 27. auf den 28. April 2017 fanden auf der Doppelspur zwischen Worblaufen und Bern Bauarbeiten durch zwei Teams auf zwei Arbeitsstellen statt.
Gegen Ende der Arbeitsschicht fuhr um ca. 03:50 Uhr ein erstes Team (Team 1) als Rangierbewegung 1 von der talseitigen Arbeitsstelle zurück nach Worblaufen und stellte im Depot einen Wagen ab. Danach fuhr es Richtung Ittigen bis zur Dienststation BKW, wo es einen weiteren Wagen abstellte. Anschliessend fuhr es als indirekt geführte Rangierbewegung, bestehend aus einer Rangierlok und einem Wagen, zurück nach Worblaufen, um dort die Fahrzeuge im Depot abzustellen.
Bei dieser Fahrt kam ihm auf dem gleichen Gleis ein zweites Team (Team 2) entgegen, das zuvor auf der bergseitigen Arbeitsstelle tätig war. Diese direkt geführte Rangierbewegung 2, bestehend aus einer Rangierlok und vier Wagen, kollidierte um 04:20 Uhr mit der entgegenfahrenden Komposition vom Team 1 kurz nach Einfahrt in den Tunnel Altikofen I.
Feststellungen
Auf den Arbeitsstellen waren zwei Teams mit jeweils eigenen Fahrzeugen eingesetzt. Jedem Team war ein Sicherheitschef und ein Rangierleiter zugeteilt. Laut den Ausführungsbestimmungen zu den Fahrdienstvorschriften des RBS hatten sich die einzelnen Sicherheitschefs und Rangierleiter über die auszuführenden Rangierbewegungen untereinander zu koordinieren (AB FDV RBS R 300.12 Ziffer 3.2.7).
Jedes Team hatte ein eigenes Sicherheitsdispositiv. Darin gab es keine Angaben zum jeweils anderen Team. Das Wegstellen der Fahrzeuge nach Ende der Arbeitsschicht war nicht Teil der Sicherheitsdispositive und erfolgte nach den Bestimmungen für Rangierbewegungen im gesperrten Gleis.
Die erforderlichen Gleissperrungen erfolgten nach den Angaben auf Telegrammen (Anordnungen). Gemäss diesen Anordnungen sollten die Gleise von Worblaufen bis zum Ende der Arbeitsstellen in Richtung Bern um ca. 22:30 Uhr gesperrt werden. Die Gleise im Bahnhof Worblaufen und die Gleise durch den Tunnel Altikofen 1 in Richtung Dienststation BKW sollten um 00:30 Uhr gesperrt werden. Diese Gleissperrungen sollten spätestens um 04:50 Uhr wieder aufgehoben werden. Unter Bemerkungen war erwähnt, dass die Koordination der Teams über die jeweiligen Sicherheitschefs mit der Betriebsleitzentrale des RBS erfolgen soll. Jedes Team hatte sein eigenes Telegramm. Auf diesem war zwar der für dieses Team zuständige Sicherheitschef erwähnt, jedoch nicht derjenige des anderen Teams.
Die Betriebsleitzentrale des RBS war von 01:10 Uhr bis 04:40 Uhr, und somit zum Unfallzeitpunkt, nicht besetzt.
Weil die Rangierbewegungen 1 und 2 ausserhalb der Besetzungszeit der Betriebsleitzentrale lagen, erfolgten sie als Rangierbewegung auf gesperrtem Gleis und nicht funktionsfähiger Zugbeeinflussung ZSL 901.
Die für die Fahrten benötigten Gleise im Bahnhof Worblaufen, die Streckengleise zur Dienststation BKW sowie die Gleise in der Dienststation BKW wurden um 00:40 Uhr gesperrt. Die Sperrung verlangte der Sicherheitschef des Teams 2 bei der Betriebsleitzentrale. Bei dieser Kommunikation wurde der Sicherheitschef des Teams 2 über eine ausserordentliche Fahrt des Teams 1 zur Dienststation BKW orientiert. Kurz darauf wurde auch der Rangierleiter des Teams 2 von der Betriebsleitzentrale über diese ausserordentliche Fahrt informiert.
Etwa um 03:50 Uhr fuhr das Team 1 als Rangierbewegung von der Arbeitsstelle in Richtung Depot Worblaufen. Normalerweise fuhr das erste Team von der Arbeitsstelle direkt in das Depot und stellte dort alle Fahrzeuge ab. In der Ereignisnacht musste ausnahmsweise ein Wagen in der Dienststation BKW abgestellt werden. Dafür musste das Team 1 zuerst einen Wagen im Depot abstellen, bevor jener Wagen in der Dienststation BKW abgestellt werden konnte. Anschliessend fuhr die Rangierbewegung zurück in das Depot. Vor Arbeitsbeginn hatte der Sicherheitschef dieses zusätzliche Manöver mit seinem Team besprochen. Zusätzlich hatte der Lokführer der Betriebsleitzentrale des RBS dieses Vorhaben mitgeteilt. Dabei erwähnte er, dass das Team 2 erst zur Dienststation BKW fahren soll, nachdem das Team 1 wieder zurück im Depot ist. Er bat um Weiterleitung der Information an das Team 2. Eine Koordination mit dem Sicherheitschef bzw. Rangierleiter des Teams 2 unmittelbar vor der Fahrt erfolgte nicht.
Um ins Depot und anschliessend zur Dienststelle BKW zu gelangen, musste das Team 1 im Bahnhof Worblaufen Weichen von Hand umstellen, da die Betriebsleitzentrale zu diesem Zeitpunkt nicht besetzt war.
Nach dem Abstellen des zweiten Wagens in der Dienststation BKW erfolgte die Rückfahrt des ersten Teams nach Worblaufen als indirekt geführte Rangierbewegung. Dabei wurde von der Rangierlok noch ein Wagen geschoben.
Das Team 2 fuhr um 04:10 Uhr von der Arbeitsstelle Richtung Dienststation BKW, um dort die Fahrzeuge abzustellen. Im Bahnhof Worblaufen waren die Weichen für die Fahrt Richtung Dienststation BKW gestellt. Eine Koordination mit dem Sicherheitschef bzw. Rangierleiter des Teams 1 unmittelbar vor der Fahrt erfolgte nicht.
Die Fahrt des Teams 2 von Worblaufen nach der Dienststation BKW erfolgte mit der Funkfernsteuerung als direkt geführte Rangierbewegung. Die Rangierlok zog zwei Wagen und schob zwei Wagen.
Laut den Ausführungsbestimmungen zu den Fahrdienstvorschriften des RBS war für die beiden Rangierbewegungen die Fahrt auf Sicht mit höchstens 30 km/h vorgeschrieben. Die Rangierbewegung 1 fuhr mit höchstens 22 km/h. Das Einleiten einer Schnellbremsung erfolgte 4.6 s vor dem Zusammenprall. Die Geschwindigkeit beim Anprall betrug ca. 15 km/h.
Der Fahrweg ab dem Zeitpunkt der Auslösung der Schnellbremsung bis zur Kollision betrug rund 23 m. Der rechnerisch ermittelte Bremsweg bis zum kollisionsfreien Stillstand hätte rund 34 m betragen.
Die Rangierbewegung 2 fuhr mit höchstens 32 km/h. Das Einleiten einer Schnellbremsung erfolgte 5 s vor dem Zusammenprall. Die Geschwindigkeit beim Anprall betrug ca. 18 km/h. Der Fahrweg ab dem Zeitpunkt der Auslösung der Schnellbremsung bis zur Kollision betrug rund 33 m. Der rechnerisch ermittelte Bremsweg bis zum kollisionsfreien Stillstand hätte rund 48 m betragen.
Es war Nacht und entsprechend dunkel, wobei üblicherweise in Agglomerationen vorkommende Lichtquellen die Strecke stellenweise schwach beleuchteten. Der Tunnel Altikofen I war unbeleuchtet.
Beiden Teams standen auf den ihnen vorliegenden Dokumenten keine Angaben über die Erreichbarkeit des jeweils anderen Teams zur Verfügung.
Analyse
Sicherheitschef und Rangierleiter des Teams 2 wurden um 00:40 Uhr von der Betriebsleitzentrale über die ausserordentliche Fahrt des Teams 1 orientiert. Unmittelbar vor den jeweiligen Rangierfahrten um 03:50 Uhr, bzw. 04:10 Uhr erfolgte keine Koordination zwischen den Sicherheitschefs bzw. Rangierleitern der beiden Teams. Den beiden Teams lagen in den Anordnungen keine Angaben zur gegenseitigen Erreichbarkeit vor. Als Folge der nicht erfolgten Koordination der beiden Teams unmittelbar vor den Rangierfahrten, konnte die Gefahr einer entgegenkommenden Rangierbewegung nicht erkannt werden.
Das Team 2 sah auf der Arbeitsstelle das Team 1 wie üblich gegen Ende der Arbeiten Richtung Worblaufen fahren. Rund 20 Minuten später beendete das zweite Team seine Arbeiten ebenfalls und fuhr via Worblaufen in Richtung Dienststation BKW. Wie gewohnt standen die Weichen im Bahnhof Worblaufen Richtung Dienststation BKW. Der Lokführer und der Rangierleiter des Teams 2 nahmen an, dass das Team 1 wie immer alle ihre Fahrzeuge im Depot abgestellt und die Weichen für sie wieder umgestellt hatte. Während der Fahrt auf der Strecke erwarteten sie deshalb keine Gegenfahrt.
Der Lokführer und der Rangierleiter des Teams 1 nahmen an, dass das Team 2 über das ausnahmsweise durchgeführte zusätzliche Manöver informiert war. Bei der Fahrt von der Dienststation BKW zurück nach Worblaufen erwartete das Team 1 keine Gegenfahrt, zumal der Lokführer am Abend vorher die Betriebsleitzentrale über die zusätzlichen Fahrten informiert und um eine entsprechende Weiterleitung gebeten hatte. Eine Kontaktaufnahme mit dem anderen Rangierleiter war mangels Angaben zur Erreichbarkeit nicht möglich und die Betriebsleitzentrale des RBS war nicht besetzt.
Die gewählten Fahrgeschwindigkeiten hätten wohl ausgereicht, um vor einem stehenden Hindernis rechtzeitig anzuhalten. Bei sich aufeinander zu bewegenden Fahrten haben die beiden Rangierleiter beim ersten Erkennen der Gefahr das schnellstmögliche Anhalten veranlasst. Dies reichte jedoch nicht mehr aus, um die Kollision zu verhindern.
Schlussfolgerung
Die Kollision von zwei Rangierbewegungen für den Baudienst am 28. April 2017 in Ittigen ist darauf zurückzuführen, dass die Koordination über die auszuführenden Fahrten nicht durchgängig erfolgte, worauf die Beteiligten jeweils von einem hindernisfreien Fahrweg ausgingen.
Nach dem Ereignis ergänzte der RBS die Anordnungen (Telegramme) zu Streckensperrungen gemäss AB FDV RBS R 300.12 Ziffer 3.2.7. Neu ist angegeben, dass ausserhalb der Besetzungszeiten der Betriebsleitzentrale die Koordination der Rangierbewegungen im gesperrten Gleis direkt über die einzelnen Sicherheitschefs und Rangierleiter erfolgen muss.
Im vorliegenden Fall wurden die Vorgaben bezüglich Koordination unter den Sicherheitschefs und den Rangierleitern nicht umgesetzt. Der RBS hat nach dem Ereignis zusätzlich einen entsprechenden Hinweis auf dem Telegramm angebracht, das als Arbeitsgrundlage verwendet wird. Weitere Untersuchungshandlungen erbringen aus Sicht der SUST keine weiteren, für die Verhütung von Zwischenfällen zweckdienlichen Erkenntnisse. Deshalb schliesst die SUST gestützt auf Art. 45 VSZV die Untersuchung mit dem vorliegenden summarischen Bericht ab.
Beteiligte Unternehmen
- Eisenbahnverkehrsunternehmen: Regionalverkehr Bern-Solothurn AG (RBS), Worblaufen
- Infrastrukturbetreiberin: Regionalverkehr Bern-Solothurn AG, Worblaufen
- Weitere Unternehmen:
- Sersa Group AG (Sersa), Zürich
- Furrer+Frey AG, Bern
- Frutiger AG, Thun
Beteiligte Fahrzeuge
- Rangierbewegung 1 mit Rangierlok und einem Wagen
- Rangierbewegung 2 mit Rangierlok und vier Wagen
Schäden
- Personen: Eine Person wurde leicht verletzt.
- Verkehrsmittel: Beide Rangierloks und drei Wagen wurden beschädigt.
- Infrastruktur: Leichte Schäden an der Fahrbahn.
Links
- 1 ZSL 90 ist ein lineares Zugbeeinflussungssystem, bei dem Zug- und Rangierfahrten kontinuierlich hinsichtlich Geschwindigkeit und Beachtung von Signalbedeutung überwacht werden.
- Summarischer Bericht