öV-Preise steigen per Dezember 2023 erstmals seit sieben Jahren an

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 4. April 2023 veröffentlicht.

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Symbolbild-Kundenbegleiter Traverso_SOBDaniel Ammann
Ein Kundenbegleiter der Südostbahn unterwegs in einem SOB-Traverso. / Quelle: SOB, Daniel Ammann

Erstmals seit 2016 wird die öV-Branche Ende Jahr eine Tarifmassnahme durchführen. Über das gesamte Sortiment des Nationalen Direkten Verkehrs wurde eine Preiserhöhung von durchschnittlich 4,3 Prozent beschlossen. Sie beinhaltet auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer aufgrund der AHV-Reform um 0,4 Prozent ab 2024. Das grössere Angebot, gestiegene Kosten für Lohn, Unterhalt oder Energie, die Teuerung sowie gleichzeitig sinkende Mittel für Abgeltungen im Regionalen Personenverkehr führten zu diesem Entscheid.

Seit Dezember 2016 sind die Preise des öffentlichen Verkehrs auf nationaler Ebene sieben Jahre lang stabil geblieben – eine längere Phase ohne Preiserhöhungen hat es im öffentlichen Verkehr noch nicht gegeben. Nun hat die Alliance Swisspass entschieden, über das gesamte Sortiment des Nationalen Direkten Verkehrs (NDV) per 10. Dezember 2023 eine Tariferhöhung von insgesamt rund 4,3 Prozent umzusetzen. Sie erfolgt differenziert, um das Halbtaxabonnement und die Einzelbillette – die «Einsteigerprodukte» in den öV für Neukundinnen und Neukunden sowie Gelegenheitsnutzende – weniger stark zu belasten. Der «Normaltarif» (Einzelbillettpreis) wird um 4,2 Prozent erhöht, genau gleich wie Tages- und Mehrfahrtenkarten sowie Klassenwechsel. Gleichzeitig wird die Klassenspanne generell um den Faktor 0.05 gesenkt. Das führt dazu, dass die Preise in der 1. Klasse weniger stark erhöht werden als in der 2. Klasse (1. Klasse 1,9 Prozent, 2. Klasse 4,8 Prozent). Das Halbtaxabonnement für Erwachsene wird 5 Franken teurer und kostet neu 190 (Erstkauf) respektive 170 Franken (Treuerabatt). Die Generalabonnemente werden um durchschnittlich 5,1 Prozent erhöht. Das GA Erwachsene kostet neu 4’080 Franken (+220 Franken respektive 5,7 Prozent).

Kostensteigerungen solidarisch tragen

Die Gründe für diesen aus Sicht der öV-Branche unumgänglichen Schritt sind vielfältig: Seit Ende 2016 steigerten die Transportunternehmen (gemessen in Angebotskilometern) ihr öV-Angebot um rund 10 Prozent und tätigten signifikante Investitionen in moderne, hochwertige Fahrzeuge. Gleichzeitig verteuerten sich die Konsumentenpreise gemäss dem Bundesamt für Statistik bis Ende 2022 um 4,5 Prozent[1] gegenüber 2016. Für das Jahr 2023 rechnet das Staatssekretariat für Wirtschaft mit einer weiteren Teuerung von rund 2,4 Prozent[2]. Damit verbunden sind Kostensteigerungen für die Transportunternehmen in den Bereichen Lohn (Teuerungsausgleich), Zinsaufwand, Unterhalt und Energie/Treibstoff, welche die nach der COVID-19-Pandemie ohnehin bereits angespannte finanzielle Lage und damit einhergehend den Eigenfinanzierungsgrad vieler öV-Betriebe weiter verschlechterten. Zudem muss auch der Bund sparen und hat angekündigt[3], im Jahr 2024 7,8 Prozent weniger Mittel für Abgeltungen im Regionalen Personenverkehr zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommt eine Erhöhung der Mehrwertsteuer per 1. Januar 2024 um 0,4 Prozent aufgrund der Revision der Alters- und Hinterbliebenenversicherung.

Diese grossen finanziellen Herausforderungen können nur solidarisch gemeistert werden: durch eigene, erkennbare Sparanstrengungen der öV-Branche, aber auch gemeinsam mit den Bestellerorganisationen (über die Abgeltungen) und den öV-Nutzenden (via Billettpreise), die damit einen Beitrag zur nachhaltigen Sicherung der hohen und geschätzten Qualität des öV Schweiz leisten.

GA Night, Guthaben-Abo und Sparwelt federn Tarifmassnahmen ab

Die öV-Branche vertritt weiterhin die Haltung, dass der öffentliche Verkehr in der Schweiz für alle erschwinglich bleiben muss und Preiserhöhungen – sofern diese unumgänglich sind – so moderat wie möglich ausfallen müssen. Nicht erhöht werden deshalb unter anderem das Halbtaxabonnement Jugend, die Spar-, Kinder- und Schultageskarte, die Junior- und Kinder-Mitfahrkarte oder das Hunde- und Gepäcksortiment. Weiter wird die öV-Branche per Dezember 2023 ein Guthaben-Abo einführen. Dieses Angebot richtet sich an Personen, die mehr Flexibilität brauchen oder für die sich das GA aufgrund veränderter Mobilitätsbedürfnisse nicht mehr lohnt. Bereits per 1. Juni 2023 wird das seven25 durch das «GA Night» ersetzt – und neu für 99 statt 390 Franken angeboten. Das GA Night bietet Kindern und Jugendlichen bis zum 25. Geburtstag von 19 Uhr bis Betriebsschluss freie Fahrt auf dem GA-Streckennetz. Mit der Friends-Tageskarte und der Tandem-Tageskarte gibt es zudem zwei neue, sehr attraktive Angebote, dank denen junge Menschen bis 25 Jahre das GA-Streckennetz einen Tag lang für 20 Franken befahren können. Schliesslich steht weiterhin die attraktive Sparwelt zur Verfügung. Deren Palette wird demnächst mit der Spartageskarte Gemeinde und einem Kleingruppenangebot weiter ausgebaut.

Die Preise sind noch nicht definitiv
Tarifänderungen in diesem Ausmass bedürfen einer Bestätigung durch die Mitglieder der Alliance Swisspass im Rahmen einer Abstimmung auf dem Korrespondenzweg. Zudem wird auch die Preisüberwachung begrüsst. Deshalb sind die Preise noch nicht definitiv. Sobald alle Prozesse abgeschlossen sind, werden die detaillierten neuen Preise aller öV-Sortimente publiziert. Dies wird voraussichtlich bis Ende Juni der Fall sein.
Swiss Railvolution: Kundinnen und Kunden des öVs sollten nicht für die strategischen Fehler des Bundes bezahlen
Die Ankündigung einer Preiserhöhung von 4,3 Prozent im öffentlichen Verkehr ist nach Ansicht von Swiss Railvolution ein strategischer Fehler. Bereits in der Vernehmlassung zur «Perspektive Bahn 2050» im Herbst 2022 haben wir darauf hingewiesen, dass der vom Bund finanzierte Ausbau des öV-Angebots nicht den Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht, was zu Mindereinnahmen beim Billettverkauf führt. Zudem ist es unverständlich, dass die Hauptpreiserhöhung auf das Generalabonnement konzentriert wird, das während der Pandemie am meisten Kunden verloren hat (-20%).

Die Züge füllen sich nicht mehr

Die Preiserhöhungen sind nach Ansicht von Swiss Railvolution vor allem eine Folge der gescheiterten Planung des Bundes beim Bahnausbau. Historisch gesehen war Bahn 2000 ein Erfolg und führte zu einem Anstieg der Auslastung der SBB-Züge von 24% auf 27,5% in nur fünf Jahren zwischen 2005 und 2010. In den folgenden zehn Jahren stagnierte die Auslastung der SBB-Züge jedoch trotz massiver Investitionen und lag kurz vor der Pandemie bei kaum besseren 28% und 29%. Der Bund muss seine Strategie ändern und einen Mobilitätsmasterplan für den Bahnausbau entwerfen, der die Prioritäten auf die Verkehrsverlagerung setzt, statt die Transportunternehmen und die Kundinnen und Kunden mit hausgemachten Defiziten im Stich zu lassen.

Zwischen 2009 und 2016 wurden die Preise für öffentliche Verkehrsmittel stark angehoben, obwohl die durchschnittliche Inflation zwischen 2010 und 2021 leicht negativ war und das Bevölkerungswachstum, d.h. das Fahrgastpotenzial, noch stärker zugenommen hat als im Jahrzehnt zuvor. Insbesondere stieg der Preis des Generalabonnements (GA) zwischen 2009 und 2016 von CHF 3’100 auf CHF 3’860 (+25%). Für Swiss Railvolution müssen die Preise für Mobilität im Rahmen eines Masterplans für Mobilität betrachtet werden, genauso wie die Entwicklung der Infrastruktur.

Das GA, ein Aushängeschild des Erfolgs von Bahn 2000, würde durch eine Preiserhöhung weiter geschwächt, nachdem bereits heute die zahlreichen Baustellen zu Verspätungen, Zugausfällen und Sonderfahrplänen an Wochenenden und Abenden führen und die Attraktivität der Bahn schwächen. Baustellen bei laufendem Betrieb verschlechtern die Qualität des Angebots. Ein Teil der Kundschaft scheint seit 2010 auf das Auto oder das Flugzeug umgestiegen zu sein. GA- und Halbtax-Abos verkaufen sich nur noch langsam. Eine Preiserhöhung vorzunehmen, ohne sie vorher zumindest durch einen Mobilitäts-Masterplan abzusichern, ist die falsche Strategie.

Verantwortlich für die steigenden Betriebskosten, mit Zügen, die sich nicht mehr füllen, sind weder die Transportunternehmen noch die Reisenden, sondern der Bund, der seit dem Jahr 2005 die Kompetenz in der Bahnplanung innehat. Trotz riesiger Investitionen stagniert der Marktanteil der Bahn. Immer mehr vom Gleichen genügt nicht. Mit der Giesskanne in allen Regionen Infrastruktur-«Zückerlis» zu verteilen ist ein Garant für höhere Betriebskosten ohne ausreichende Mehreinnahmen beim Billettverkauf. Es fehlt der grosse Wurf, von dem das ganze Netz profitieren würde. Swiss Railvolution erinnert an die Motion der Verkehrskommission und des Tessiner Nationalrats Marco Romano für die Planung des Verkehrskreuzes Schweiz, das am 9. März dieses Jahres nach dem Nationalrat auch im Ständerat angenommen wurde. Die Umsetzung dieser Motion würde dank Neubaustrecken die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene gegenüber der Strasse und dem Luftverkehr erhöhen und die Investitionen dort konzentrieren, wo eine Verlagerung auf die Schiene stattfindet. Mit vollen Zügen entstehen auch zusätzliche Erträge.

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