Der Schienenanteil im alpenquerenden Güterverkehr liegt in der Schweiz weiterhin deutlich über den Werten der anderen Alpenländer. Dennoch zeigen sich vier Jahre nach der Vollendung der NEAT erste Grenzen des Verlagerungserfolgs: Der Anteil geht nach Jahren des kontinuierlichen Wachstums wieder zurück. Im Transitverkehr beeinträchtigen die vielen Baustellen, Umleitungen und Ausfälle, die hohen Trassen- und Energiepreise und die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene.
Die Schweizer Verlagerungspolitik ist in der Bundesverfassung verankert und geniesst in der Bevölkerung breite Unterstützung. Der Marktanteil der Schiene betrug im ersten Semester 2023 weiterhin hohe 72,7 Prozent. Die Erfolgsgeschichte ist auf ein geschicktes Zusammenspiel verschiedener verkehrspolitischer Massnahmen zurückzuführen: konsequente Umsetzung der Liberalisierung im Schienengüterverkehr, der Bau neuer und moderner Bahninfrastrukturen der NEAT (Basistunnel Lötschberg, Gotthard und Ceneri sowie 4-Meter-Korridor) und Betriebsabgeltungen im kombinierten Verkehr.
Konjunktur und infrastrukturelles Umfeld gefährden die Verlagerung
In den vergangenen zwei Jahren hat das Erfolgsmodell aber Risse bekommen. Nach der Euphorie im Zusammenhang mit der Komplettierung der NEAT-Strecken ist das aktuelle Marktumfeld äusserst herausfordernd, die Schiene verliert wieder Verkehrsanteile. Der kombinierte Verkehr und der konventionelle Verkehr liegen aktuell 10-15% unter dem Vorjahresniveau. Dazu kommt die tiefe Betriebsstabilität auf der rechten Rheinachse, mehrheitlich in Deutschland. Auf gewissen Relationen nördlich der Schweiz fahren mehr als die Hälfte aller Güterzüge mit mehr als sechs Stunden Verspätung. Nächstes Jahr sind auf dem Nordzulauf weitere grosse Baustellen geplant und Strecken gar während Monaten für den Schienengüterverkehr gesperrt, ohne dass die erforderlichen Umleitungskapazitäten zur Verfügung stehen. Dies führt zu geplanten und zusätzlich auch kurzfristigen Ausfällen von Güterzügen, was für die EVU eine hohe finanzielle Belastung bedeutet. Einerseits fehlen Erlöse, andererseits entstehen hohe Mehrkosten durch Ineffizienzen beim Einsatz des Lokpersonals und der Lokomotiven.
Verlagerungspolitik funktioniert nur mit einer leistungsfähigen Infrastruktur
BLS Cargo nimmt mit hoher Zufriedenheit zur Kenntnis, dass die Wichtigkeit der Verlagerungspolitik im neuen Bericht bestätigt wurde. Wir begrüssen die schon erfolgten kurzfristigen Unterstützungsmassnahmen des Bundes, wie Stabilisierung der Energiepreise 2024, Stabilisierung der Betriebsabgeltungen 2024 und die Teuerungsanpassung und Weiterentwicklung der LSVA zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Die LSVA muss in den kommenden Jahren weiterentwickelt werden, damit sie ihre Lenkungswirkung weiter entfalten kann.
Die Herausforderung der Schweizer Verlagerungspolitik in den nächsten Jahren ist es, dass sie stark von den Infrastrukturbetreibern und den Bemühungen der Nachbarländer abhängig ist. Der Bundesrat stellt im Verlagerungsbericht entsprechend fest:
«Die Anstrengungen für die kommende Berichtsperiode müssen somit vor allem darauf abzielen, die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur für den Nord-Süd-Schienengüterverkehr zunächst zu erhalten und dann zu erhöhen. Hierfür stehen primär die Infrastrukturbetreiber in der Verantwortung. Oberstes Ziel ist die Sicherstellung von Zuverlässigkeit und Qualität als zentrale Voraussetzungen dafür, dass die Marktanteile der Schiene konsolidiert oder ausgebaut werden können.»
Zur Erreichung der Verlagerungsziele und zur erneuten Stärkung des Schienenanteils am Güterverkehr braucht es gemäss BLS Cargo Verbesserungen für den Gesamtkorridor, da dort die grössten Hemmnisse liegen. In den folgenden Bereichen besteht dringender Handlungsbedarf:
- Baustellenkoordination und -kompensation: Es braucht Umleitungskapazitäten angesichts der geplanten umfangreichen Baustellen und Streckensperrungen. Aus Sicht der Güterbranche darf nur gebaut werden, wenn für mindestens 80% der Gütermengen Umleitungsmöglichkeiten bestehen. Eine angemessene Störungsabwicklung und ein Qualitätsmanagement sind durch verbesserte internationale Zusammenarbeit der Infrastrukturbetreiber sicherzustellen.
- Abstell- und Pufferungsanlagen: Mit verfügbaren Pufferungsanlagen an den Grenzorten und im Schweizer Mittelland kann die Qualität auf dem Rhine-Alpine-Korridor stabilisiert werden. Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, dass Güterzüge von Norden und Süden «fahrplanmässig» losfahren, auch wenn Verspätungen drohen. Diese Abstellmöglichkeiten sind vor allem auf bestehenden Anlagen in der kurzfristigen Gleiszuteilung für den Güterverkehr vorzusehen und im Fall notwendiger Ausbauten zu finanzieren.
- Stabilisierung und Senkung der Trassenpreise: Der Trassenpreis für Güterzüge ist in der Schweiz deutlich höher als in den anderen Ländern des Korridors. Auch die Bahn-Energiepreise, die über den Trassenpreis verrechnet werden, gilt es weiterhin im Auge zu behalten. Bei zukünftigen Anpassungen des Bahnstrompreises soll sichergestellt werden, dass die Steigerungsraten beim Bahnstrompreis nicht oberhalb der Marktpreisentwicklung des Dieselpreises zu liegen kommen.
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