Die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV steht den Verhandlungen der Schweiz mit der EU über ein neues Rahmenabkommen kritisch gegenüber, weil ein Systemwechsel beim internationalen Personenschienenverkehr (IPV) grosse Risiken birgt. Wenn es aber unbedingt sein muss, dann braucht es griffige und belastbare Regeln, die das Schweizer System und das Personal wirksam schützen. Der SEV ist konsterniert über das Vorgehen des Bundesamtes für Verkehr BAV, das sich über alle Bedenken der Gewerkschaft hinweg setzt und die Risiken konsequent klein redet. Die Anliegen der Sozialpartner werden ignoriert. Der Vorschlag des BAV, mit Blick auf die Öffnung des IPV einseitig eine Richtlinie über die anzuwendenden Sozialstandards zu erlassen, ist unschweizerisch und anmassend.
Am 27. Juni 2024 hat der Bundesrat eine Standortbestimmung zu den Verhandlungen mit der EU vorgenommen und diese veröffentlicht. Im Hinblick auf die interne Umsetzung des Verhandlungspakets hat er in einer Medienmitteilung kommuniziert, dass das BAV eine Richtlinie über die Sozialstandards («Mindestlöhne») im internationalen Schienenpersonenverkehr (IPV) vorbereitet und dass die Sozialpartner dabei einbezogen würden. Beides ist nicht richtig: Die Sozialpartner sind im Vorfeld, bei der Vorbereitung des Verhandlungsmandats und der Risikoabschätzung, vom BAV nicht einbezogen worden, und deshalb kommt für den SEV ein Einbezug viel zu spät. Bei den Vorbereitungen des Verhandlungsmandats im Bahnbereich wurden die Sozialpartner vor vollendete Tatsachen gestellt. Die «kontrollierte Öffnung» des IPV, wie sie das Bundesamt für Verkehr BAV vorschlägt, ist hochriskant und alles andere als kontrollierbar. Durch die Marktöffnung wird dem auf Konkurrenz und Wettbewerb basierenden System der EU der Zugang zum bislang auf Kooperation basierenden integrierten ÖV-System der Schweiz gewährt. Dieser Systemwechsel droht ein funktionierendes System zu zerstören. Beispiele aus der EU belegen das ausnahmslos [Studie zur Bahnliberalisierung in der EU].
Verwundert ist der SEV vor allem über den Vorschlag des BAV, eine Richtlinie über Sozialstandards mit einer Festlegung von «Mindestlöhnen» vorzubereiten. Schon seit Ende letzten Jahres haben die Sozialpartner, allen voran der SEV, mehrfach und deutlich gesagt, dass eine solche Richtlinie keinen wirksamen Ersatz für GAV-Verhandlungen darstellen kann. Auch diese Warnhinweise hat das BAV ignoriert. Stattdessen spielt sich das BAV auf einmal als Sozialpartner auf, dem die Arbeitnehmervertretungen ihre «Wünsche» äussern können. Sozialpartnerschaft in der Schweiz funktioniert anders. Die Gewerkschaften fordern, dass die Sozialpartner bei Verhandlungen im Bahnbereich mitreden. Statt einer Richtlinie muss die Schweiz auf verbindliche GAV pochen, die von den europäischen Partnern eingehalten werden müssen. Mindestlöhne, wie sie das BAV formulieren möchte, sind Dumpinglöhne und folglich kein taugliches Instrument. Ausserdem gilt es, viele weitere Themen zu regulieren, wie Ferienansprüche, Arbeitszeit (insbesondere Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes) sowie die Kontrolle der Regelungen. Das geht nur mit GAV, wie es in der Schweiz üblich ist, und mit entsprechenden Organen, die die Einhaltung überwachen. Zudem muss die Schweiz bei den Verhandlungen darauf bestehen, dass das bewährte Kooperationsmodell beibehalten wird, das übrigens auch in vielen EU-Ländern zur Anwendung kommt und für einen gut funktionierenden Bahnbetrieb sorgt.
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Solche Statements sollte sich der SEV besser ersparen, sie sind eher peinlich. Dem SEV geht es nicht wirklich um die Arbeitsbedingungen der Angestellten, eher um die eigenen Pfründe. Kassieren doch die Gewerkschaften der „Verhandungsgemeinschaft“ für jeden SBB Mitarbeiter, der nicht einer der beteiligten Gewerkschaften angeschlossen ist monatlich CHF 10.- Man rechne.
Wenn es um die Arbeitsbedingungen der Angestellten geht, ist der SEV zahnlos, weichgespült und mehr als lauwarmer Protest ist nicht zu erwarten . Augenscheinlich wird das am Beispiel der B100 Lokführer. In der SEV Zeitung vom 21.06. wird über die Arbeitsbedingungen und fehlende Wertschätzung der B100 Lokführer gejammert. Da wird über unattraktive Anstellungsbedingungen und viele Abgänge zu privaten Firmen lamentiert Es wird geklagt das eine „Marktzulage“ von läppischen CHF 3000.- nicht zum Bleiben motiviert. Ein Lokführer wird zitiert, dass er CHF 7000.- unter dem Lohnmaximum hocken bleibt und erwähnt das Privatfirmen CHF 15`000-30`000.- plus Firmenauto mehr bieten als die SBB. Da ist ja jeder selber schuld, der sich von einer solchen Firma für dumm verkaufen lässt und nicht zu einem attraktiveren Arbeitgeber wechselt. Das belegt aber auch das Totalversagen der Gewerkschaften, offenbar sind sie unfähig oder gar nicht gewillt Forderungen durchzusetzen. Der Schreibende erinnert sich an ein Treffen mit dem damaligen SEV-Vize ums Jahr 2005. Anlass war, dass ich zusammen mit einem Kollegen heftig die Schlechterstellung vieler Mitarbeiter aus dem damaligen Bereich IH durch das Lohnsystem „TOCO“ kritisiert habe. Das Einzige was wir vom SEV-Vize zu hören bekamen war „Man dürfe den Service Public nicht gefährden“. Eines Gewerkschafters unwürdig, Verrat an den Mitgliedern und eine Bankrotterklärung auf der ganzen Linie. Geändert hat seither nicht viel. Dem Gewerkschaftsapparat ist es wichtiger, das System, das ihn alimentiert, am Leben zu erhalten. Dafür blockiert man gerne notwendige Veränderungen, die Angestellten neue Jobchancen und Kunden attraktive Angebote eröffnen könnten.
Rolf Schenk : Gut geschrieben. Auch aus den von Ihnen genannten Gründen, hab ich gleichzeitig mit meiner Pensionierung, nach 42 Jahren den Austritt aus dem SEV vollzogen.