Am 9. Mai 2021 hat die SBB eine Unterführung ersetzt, die zwischen dem Genfersee, einem Weiler und den Weinbergen eingebettet ist. Dazu hat sie mit der neuen Brücke den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Ein illustrierter Rückblick auf die spektakuläre Baustelle in Treytorrens.
Der Ersatz einer hundertjährigen Bahnbrücke ist für die SBB eigentlich nichts Besonderes. Aber wie geht man vor, wenn das Bauwerk in einer für Bauarbeiten ungeeigneten Schutzzone liegt und schwer zugänglich ist? Ein kniffliges Projekt, das nur mit einem unkonventionellen Konzept gemeistert werden konnte: Die neue, fast 300 Tonnen schwere Betonkonstruktion wurde auf dem Wasserweg herbeigeführt.
«Meines Wissens hat die SBB noch nie eine Eisenbahnbrücke auf diese Weise transportiert»
, erklärt Benoit Miraton, Bauingenieur und Projektleiter.
Weil kein Schiff eine solche Konstruktion tragen kann, musste die Brücke schwimmen lernen.
Gab es keine Alternativen zu diesem ambitionierten Vorgehen?
«Sie hätten uns vor andere Probleme gestellt»
, so Benoit.
«Die einzige realistische Alternative wäre gewesen, die neue Brücke im See zu bauen.»
Diese Option schloss sein Team aus zwei Gründen aus:
«Wir hätten eine Bauplattform im See errichten müssen. Dies wäre ein viel grösserer Eingriff in die Natur gewesen – und die Lavaux-Region steht doch unter Schutz.»
Zudem wären mit einer solchen Plattform viel umfassendere Sicherheitsvorkehrungen notwendig gewesen.
«Wir hätten sie gegen Wellengang und Unwetter schützen müssen.»
300 Tonnen treiben auf dem Wasser
Das Projektteam bleibt daher bei der ursprünglichen Idee und lässt die Unterführung auf der anderen Seeseite, in Le Bouveret, bauen. Damit hat es sich aber noch längst nicht mit den Vorbereitungsarbeiten, die überdies nicht nur an Land stattfinden.
«Parallel zu den Arbeiten auf dem Industriegelände in Le Bouveret haben wir vor der alten Brücke eine provisorische Rampe installiert. Diese Arbeiten dauerten zehn Wochen.»
Über diese Rampe kann dann die neue Brücke an den Platz der alten geschoben werden.
Nach zwölfwöchiger Arbeit in Le Bouveret ist die neue Unterführung fertig. Oder fast.
«Wir haben metallene Kästen gebaut, damit die Brücke schwimmt»
, erklärt Benoit.
«Dieses System funktioniert etwa so wie die Schwimmringe für Kinder.»
Leinen los für den Spezialtransport
Benoit und sein Team bereiten die Überfahrt akribisch vor.
«Wir brauchten perfekte Wetterbedingungen.»
Um möglichen Schlechtwetterphasen vorzubeugen, plant das Team mehrere Daten für den Transport ein.
«Der Ersatz der alten Brücke erforderte einen Totalunterbruch des Bahnverkehrs. Dieser wurde lange im Voraus geplant, und uns durfte nicht der kleinste Fehler unterlaufen. Die neue Konstruktion musste rechtzeitig eintreffen.»
Das erste Zeitfenster erweist sich als optimal, aber das Team will auf Nummer sicher gehen.
«Wir haben das Bauwerk vor dem Transport zwei Tage im Wasser gelassen. Wir wollten sicher sein, dass kein Wasser eintritt.»
Am Montag, 29. März 2021 schiebt ein Schiff die schwimmende Betoninsel über den Genfersee. Nach einer zweistündigen Fahrt kommt die Brücke am Ziel an.
Bereit für das nächste Jahrhundert
Die neue Brücke wartet einige Wochen auf ihren Einbau. Am Wochenende vom 8. und 9. Mai 2021 wird die alte Brücke entfernt. Bereitet ihr Abtransport ähnlich grosse Herausforderungen?
«Nein, wir haben sie in vier 40 Tonnen schwere Teile zertrennt»
, erklärt Benoit.
Diese werden dann mit einem Bauzug weggebracht.
«Letzter Schritt des Einbaus: Das Bauwerk wird mit Stahlseilen auf die Rampe gezogen.»
Mit Erfolg: Am Montag, 10. Mai befährt der erste Zug das neue Bauwerk. Nun müssen nur noch die vorfabrizierten Elemente und die provisorische Rampe vor der Brücke entfernt werden.
«Diese neue Brücke ist für eine Lebensdauer von 100 Jahren konzipiert. Bis zum nächsten Jahrhundert haben wir also Ruhe»
, sagt Benoit mit einem Augenzwinkern.
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Sehr interessanter Artikel. Unglaublich das so etwas geht. Doch wie lernte die Brücke schwimmen? Ist sie hohl?